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Kunstrasen
Eröffnung auf der Wiese vor dem Jagdschloß Luitpoldshöhe
1. Juli 2000, 18:30 Uhr


Meine sehr geehrten Damen und Herren,

dass Kunst riskant ist, wissen wir alle, vor allem, wenn es sich um zeitgenössische Kunst handelt. Wir geraten als Betrachter in Zweifel ob des Materials, der Dimension, der Aussage. Die Frage, "Was soll das bedeuten?" mit dem Anhang "Ich kann nichts erkennen" hat jeder im Ohr (oder selbst gestellt), der sich häufig mit junger Kunst beschäftigt.

Im Falle des "Kunstrasens" haben wir es leichter - vielleicht - mit der Zuordnung, da hier die Kunst in einem klaren Kontext steht. Die versucht, sich im Zusammenhang zu bringen mit der Kulturregion Spessart. Es ist keine Spessart-Kunst, denn die gibt es nicht - sie ist mir jedenfalls nicht bekannt - vielmehr forscht sie nach Ideen, Geschichte, Hintergründen, Materialien, die spezifisch sind für die Region und ihre Industrie und präsentiert sich mit den realisierten Entwürfen hier in dieser Landschaft.

Der Weg der Entstehung dieses Kunstprojekts wurde eben skizziert; was wir vor uns haben, sind sechs Objekte als temporäre "Bewohner" eines kunstungewohnten Terrains. Bewohner? Der Begriff darf wohl vor allem für die "Wurmgruppe Spring" gelten, sieben röhrenförmige Kunstwesen, die sich neigen und biegen und wie belebte Kreaturen im Gleichtakt mit den Baumwipfeln schwingen. Runwalt ist der Name der Künstlerin, die in Hofheim lebt und verantwortlich für diese Gruppe zeichnet.

Kunst ist ja schon seit einiger Zeit in Bewegung geraten. Spätestens seit die Ausstellung "Le Mouvement" - Die Bewegung - 1955 in Paris ein Spektrum kinetischer Objekte ausbreitete, hat sich bewegte Kunst neben der still verharrenden behauptet. Runwalt hingegen betont die Idee des Organischen ihrer Objekte. Sie geht aus vom, wie sie selbst schreibt "wirbellosen Wurm, der für den Spessart keine geringe Bedeutung hat. Denn nicht nur die am Archäologischen Projekt beteiligten Wissenschaftler werden im Spessart auf urtümliche Würmer gestoßen sein. Würmer und deren Spuren, das sogenannte Wurmlosungsgefüge, werden bodenkundigen Spessart-Menschen schon seit Ende der Eiszeit bekannt sein. Doch der Wurm, ein im Schmutz und oft unter der Erde lebendes Tier, ist auch Symbol des aus der Dunkelheit neu erwachenden Lebens." Soweit die Mitteilung der Künstlerin. Und sie verankert ihre Idee sehr real in der Gegenwart, indem sie auf technische Ressourcen des Spessart setzt: Drainage-Rohre, ausgestattet mit Zylindern und Ventilen, bringen die Würmer in Schwung als, wie die Künstlerin schreibt, "Symbol für den Aufbruch ins Licht, natürlich als erstes in Rohrbrunn." Ein Augenzwinkern gibt sie der ernsthaften Arbeit also mit, und man darf gerne sein Vergnügen haben an den skurrilen Wesen, die ihre Hydraulik im Inneren verbergen und sich mit einer rauhen Sisalhaut zur Schau stellen.

Unverborgen ist das Wirkungsprinzip des Objekts, das Mario Sanden, der in Partenstein lebt, in die Landschaft stellt. Zentrum seines Hydrometers ist ein mit Erde gefüllter Metallkorb an einer Führungsstange, die in eine kegelförmige Aussparung im Erdreich eintaucht. Regen beschwert den gefüllten Korb und läßt ihn sinken, während die Sonne das Wasser verdunsten und den Korb nach oben fahren läßt. Dies ermöglichen Gegengewichte, die über Umlenkrollen den Korb nach oben ziehen und ausbalancieren.

Sanden will seine Plastik verstanden wissen als Zeichen für Umbruch, für Energiefluss, für ein Kräftespiel von "auf und ab", das, wie er schreibt, "dem Betrachter die Möglichkeit geben (soll), teilzunehmen und wahrzunehmen, wie sich die Veränderung vollzieht." Der Faktor Zeit ist hier wesentlich, der Betrachter braucht eine Weile, bis er Veränderungen bemerkt; Sandens Hydrometer ist ein Objekt, das den Wandel langsam vollzieht, das Ruhe in sich trägt und Abwarten verlangt. Hektische Aktion darf der Betrachter hier nicht erwarten. Gegebenenfalls muß er am nächsten Tag nachschauen, ob sich was verändert hat. Für Sanden lag die Anregung, wie er erläutert, "im örtlichen Umfeld. Die aus dem Mittelalter stammenden Lehmlöcher bei Frammersbach, aus denen das Rohmaterial für Fachwerkbauten gestochen wurde, weckten den Gedanken in mir, diese Materialbewegung in einem 'Hydrometer' darzustellen."

Beobachtet Mario Sanden also Kreisläufe der Natur, die er mit eindrucks-einfacher Technik in Szene setzt, so nimmt Ingrid Hornef aus Hofheim eine Sage als Anstoß für ihre Plastik. Eine Spessart-Legende berichtet von einem Geschwisterpaar, "vor dem beim Spielen ein Kessel mit Gold aufstieg und wieder verschwand, als die Kinder versuchten, ihn zu bergen. Dieser Kessel gab der Ketzelburg (bei Haibach) ihren Namen."

Wer nun figürliche, detailreiche Figuren erwartet, wird überrascht. Ingrid Hornef verdichtete die Geschichte von den beiden Kindern zu einer blockhaften Skulptur mit definierter Vorder- und Rückansicht - das gab es bei den vorgenannten Stücken nicht - deren Front eine vertikale Einkerbung trägt als Zeichen für die Unterscheidung der beiden Personen. Die quaderförmige Aussparung in der oberen Mitte läßt die verbliebenen Blockteile als erhobene Arme erscheinen; die Künstlerin beschreibt diese Formen als Köpfe. Sie "tragen", so erscheint es, eine Schale, die lose in die Aussparung hineingelegt ist, den märchenhaften Kessel, der hier auf sein goldenes Aussehn verzichtet, doch ebenso massiv aus rotem Sandstein gearbeitet ist wie die übrige Skulptur. Für Ingrid Hornef symbolisiert die Schale "Innovation, Geist, Kraft, Idee, Aufbruch", wie sie mitteilt.

Rückseitig fehlt die vertikale Kerbung der Skulptur aus dem Gedanken heraus, hier Burg, Turm und Zinne assoziativ anzulegen. Konzentrierter läßt sich der Kern einer Geschichte wohl kaum wiedergeben. Hornef hat eine im klassischen Sinne abstrakte Plastik geschaffen, die vom Figürlichen ausgehend, die Form soweit reduziert, dass sie gleichermaßen selbstständig wie auch an ein Thema gebunden erscheint. Die Künstlerin legt Wert darauf, die Geschichte aus vergangenen Zeiten mit der Gegenwart zu verbinden. "... im Gegensatz zu der Legende verschwindet die Schale nicht. Sie könnte ein Symbol für das neue Spessartbild sein, aus dem man immer wieder auf Neue schöpfen kann."

Der Beitrag von Anne Seeger zum neuen Spessart-Bild greift ebenfalls zu mythischen Quellen. Die in Reinheim bei Darmstadt lebende Künstlerin präsentiert eine Gruppe von Wächtern oder Engeln, die Schutz und Wegbegleiter sein können auf gefahrvollen Reisen. Anne Seeger erinnert sich dabei an die Bedeutung des Spessart als "Transitregion eines lebhaften europäischen Habdelsverkehrs", der in der vergangenen Zeit mühsam und abenteuerlich war. Wächter und Engel mochte man wohl anrufen auf den unsicheren Wegen. Die Werke der Keramikerin jedoch weichen ab vom Vorstellungsbild des geflügelten Engels oder Wächters in Waffen. Sie haben auch keine individuellen Gesichter. Als schmale Stelen deuten sie nur wenig Anthropomorphes an mit geometrisierten Köpfen, die die Form verknappen. Sie wirken einzeln zart und fragil, doch in ihrer Formation als Gruppe mag man gerne Schutzgeister in ihnen sehen, aufrecht und wachsam, in unbeugsamer Haltung beieinander stehend und den Weg bezeichnend. Engel sind sozusagen aus der Mode gekommen; doch in unserer entzauberten Welt, beherrscht von Rationalität einer High-Tech-Kultur, hat die Kunst ihnen einen Platz bewahrt wie im Werk des Malers Paul Klee, der umso mehr zu diesen wundersamen Wesen seine Bildzuflucht nahm, als ihn die Zeitumstände an künstlerischer Arbeit hinderten.

Seegers Engel enstanden vor dem gedanklichen Hintergrund eines konkreten Reisewegs durch ein Waldstück im Spessart, das Grenze war zwischen dem Besitz des Kurfürstentums Mainz und dem Gemeindewald von Frammersbach. So sind die Engel in ihrer aufrechten Haltung nicht nur ein Symbol hilfreicher Güte, sondern auch Wächter über die Grenze, und, wie die Künstlerin schreibt, "vielleicht auch behilflich, ;Arksteine des früheren Weges und Lebens aufzuspüren."

Faxe Müller, in Burgjoß ansässig, bringt die Spessart-Landschaft zum Klingen. Sein Beitrag zum Kunstprojekt greift auf heimisches Holz - Douglasie - zurück, das zu einer experimentellen Klang-Skulptur verarbeitet wurde. Dazu sägte er den Baumstamm bis zu einem bestimmten Punkt auf, um ihn dann, so erläutert er, durch keilförmig eingepaßte Trennbretter unter Ausnutzung der Eigenspannung des Holzes zu einem stabilen Klangkörper zu entwickeln. Ein wassergetriebener Blasebalg sorgt für den Ton. Auch hier verläßt die Kunst ihr angestammtes Gebiet; in diesem Fall übersiedelt sie sozusagen ins Reich der Musikinstrumente. Müller denkt an das traditionelle Handwerk des Orgelbaus, dessen moderne Variante hier jeder selbst ausprobieren darf: Betätigen der Ventile ist ausdrücklich erlaubt.

Fünf Werkstoffe, die der Spessat und seine Industrie bereithalten, sind in den genannten plastischen Arbeiten enthalten. Vier weitere sind in dem Objekt verarbeitet, das Angelika Summa den "Multiplikator" nennt: Glas, Zellstoff, Benderit und Computerschrott. Dazu Katalysatoren, Garnrollen und Dornspat, von Salzkristallen versteinert. Die in Würzburg lebende Künstlerin, die man als furchtlose Drahtbiegerin kennt mit gerollten und gewickelten plastischen Objekten, griff auch hier unerschrocken auf Materialien zu, die auf den ersten Blick nicht kompatibel erscheinen. Der Kunstkniff der Säulenform, gegossen aus dem estrichähnlichen Benderit, erlaubte die gegliederte Anordnung der Stoffe zu einer ästhetischen Form.

Riskant war es von ihr, sich auf das Projekt einzulassen, wie es auch von allen anderen Künstlerinnen und Künstlern war, die Aufgabe neuer künstlerischer Sichtweisen auf den Spessart anzunehmen. Angesichts der Ergebnisse kann ich aus meiner Warte alle beteiligten Künstler zu ihrem Wagemut beglückwünschen, Glückwunsch meinerseits auch an die Veranstalter, die Initiative Bayerischer Untermain und das Archäologische Spessartprojekt mit seinem findigen und unermüdlichen Herrn Dr. Himmelsbach. Dass Sie dieses Projekt nicht nur riskiert, sondern die Ergebnisse auch noch als Kunst-Rasen neben die Autobahn gestellt haben, finde ich regelrecht rasant. Ich wünsche Ihnen und allen Künstlern rasenden Erfolg und allen Besuchern Muße und Vergnügen beim Betrachten.


Marlene Lauter



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